Sprachtrainings, interkulturelle Kommunikation & Übersetzungen
Mag.ª Marion Gringinger • Maria-Stromberger-Gasse 11a/3/62 • 8020 Graz • Österreich • +43 699 11 88 41 51 •
info@marion-gringinger.at
INTERKULTURELLE KOMMUNIKATION
Übersetzen
ist
viel
komplizierter,
als
man
sich
vorstellt.
[...]
Zum
Beispiel
würde
ein
Deutscher,
der
Portugiesisch
spricht,
ohne
Zögern
sagen,
dass
amanhã
morgen
heißt.
Aber
weh
dem
Deutschen,
der
nach
Brasilien
fährt
und
glaubt,
wenn
ein
Brasilianer
amanhã
sagt,
meine
er
wirklich
morgen
.
Selten
ist
das
so.
Amanhã
ist
ein
ungeheuer
wichtiges
Wort,
und
wenn
es
einen
brasilianischen
Großen
Duden
gäbe,
dann
müsste
diesem
und
anderen,
ähnlich
komplexen
Wörtern
mindestens
ein
ganzer
Band
gewidmet
sein.
»Amanhã«
bedeutet
unter
anderem
»niemals«,
»vielleicht«,
»ich
werde
es
mir
überlegen«,
»ich
verschwinde«,
»such
dir
einen
anderen«,
»ich
will
nicht«,
»nächstes
Jahr«,
»wenn
nötig,
komme
ich
darauf
zurück«,
»demnächst«,
»lass
uns
das
Thema
wechseln«
etc.,
und
in
ganz
großen
Ausnahmen
bedeutet
es
wirklich
morgen
.
Jeder
Ausländer,
der
in
Brasilien
gelebt
hat,
weiß,
dass
man
ein
paar
Jahre
Übung
braucht,
um
zu
unterscheiden,
welche
Bedeutung
der
brasilianische
Gesprächspartner
meint,
wenn
er
mit
der
gewohnten,
nonchalanten
Freundlichkeit
antwortet,
dass
er
dieses
oder
jenes
morgen
machen
werde.
Die
Deutschen
tun
sich
damit
besonders
schwer.
Ich
verfüge
nicht
über
zuverlässige
Statistiken,
aber
ich
bin
sicher,
dass
neun
von
zehn
Deutschen,
die
in
Brasilien
ärztliche
Hilfe
in
Anspruch
nehmen,
dies
wegen
gelegentlicher
amanhãs
tun,
die
sie
im
günstigsten
Fall
in
einen
Nervenzusammenbruch
treiben,
und
das
zum
großen
Erstaunen
ihrer
brasilianischen
Freunde
–
diese
Deutschen
sind
doch verrückt, werden sie sagen.
Die
Schuld
liegt
ein
wenig
bei
den
Deutschen
selbst.
Sie
legen
nämlich
eine
übertrieben
große
Gewissheit
an
den
Tag,
was
dieses
so
ungewisse
Leben
angeht.
[...]
[Sie]
sind
das
Gegenteil
der
Brasilianer,
denn
die
haben
meistens
nicht
die
geringste
Vorstellung
davon,
was
sie
in
der
nächsten
halben Stunde, geschweige denn morgen, tun werden.
[...]
Das
Telefon
klingelte,
ich
nahm
ab.
Ein
sympathischer,
höflicher
Deutscher
auf
der
anderen
Seite
wollte
wissen,
ob
ich
für
einen
Vortrag
am
Mittwoch,
den
16.
November,
um
20:30
Uhr
Zeit
hätte.
Ich
weiß,
dass
ein
Deutscher
nur
schwer
verstehen
kann,
warum
ein
Brasilianer
eine
solche
Frage
nicht
begreift.
Wie
kann
jemand
mit
solcher
Genauigkeit,
so
lange
im
Voraus
etwas
festlegen
wollen?
Diese
Deutschen
sind
wirklich
verrückt.
Aber
ich
wollte
nicht
unhöflich
sein,
und
wie
immer
bat
ich
meine
Frau
um
Rat.
»Frau«,
sagte
ich,
nachdem
ich
den
Anrufer
gebeten
hatte,
einen
Augenblick
zu
warten.
»Habe
ich
irgend
eine
Verabredung
am
16.
November, Mittwoch um 20:30 Uhr?«
»Bist
du
verrückt?«
sagte
sie.
»So
eine
Frage
kann
doch
keiner
beantworten.«
»Ich weiß, aber da ist ein Deutscher, der eine Antwort will.«
»Sag ihm, du gibst ihm morgen Bescheid.«
»Und
wenn
er
morgen
anruft?
Er
ist
Deutscher,
er
wird
morgen
anrufen.
Er weiß nicht, was
morgen
heißt.«
»Ach
diese
Deutschen
spinnen
doch.
Du
bist
Schriftsteller.
Denk
dir
eine poetische Antwort aus. Sag ihm, das Leben ist ein ewiges
Morgen
.«
Diese
Idee
fand
ich
interessant,
aber
ich
verwendete
sie
nicht,
sondern
bat
ihn
nur,
er
möge
morgen
zurückrufen.
Nun
wusste
ich
natürlich
nicht,
was
ich
morgen
antworten
sollte,
und
ging
derart
besorgt
ins
Bett,
dass
ich
meiner
Frau
noch
einen
Stoß
mit
dem
Ellbogen
versetzte.
Schließlich
sind
die
Deutschen
organisiert.
Eine
Schande,
dass
wir
die
Dinge
nicht
so
gut
organisieren können wie sie. Was mache ich nur?
RIBEIRO,
João
Ubaldo
(1994):
Ein
Brasilianer
in
Berlin,
Berlin:
Suhrkamp,
S.
32
ff.,
Übersetzung
aus
dem
brasilianischen
Portugiesisch
von
Ray-Güde
Mertin,
Originaltitel: Um brasileiro em Berlim.
Den Originaltext in portugiesischer Sprache finden Sie
hier
.
Organisiertes Leben
João Ubaldo Ribeiro
INTERKULTURELLE
kompetent & begeisternd - mit einer Prise Humor
nächster Beitrag